Wer mehr als eine Sprache spricht, dem öffnen sich viele Türen. Der Weg zur Zweisprachigkeit ist für viele aber eine Herausforderung. Denn der Erwerb einer weiteren Sprache ist, besonders wenn das Erwachsenenalter erst einmal erreicht wurde, oft ein langer Prozess. Zumindest bis jetzt - denn eine neue Methode verspricht das einst langwierige Verfahren auf nur 60 Minuten zu reduzieren.

Unbekannte Grammatikstrukturen und endlose Vokabellisten machen den Spracherwerb nicht gerade zur attraktivsten Freizeitbeschäftigung. Hinzu kommt das oft stressige Arbeitsleben und die damit verbundene geringe Zeit, sich neuen Herausforderungen zu widmen.

Sprachexperten betonen übereinstimmend, dass es möglich ist, bedeutende Sprachfortschritte in nur 60 Minuten täglich zu machen. Außerdem bestehe eine direkte Korrelation zwischen Mehrsprachigkeit, Intelligenz und besseren Gedächtnis- sowie akademischen Leistungen. Mit jeder neuen Sprache arbeitet das menschliche Gehirn effektiver und kann so sogar altersbedingten, kognitiven Verfall vorbeugen. Abhängig von der Mutter- und der neu erworbenen Sprache, profitiere jeder Sprachlerner von einer Reihe an kurz- und langzeitigen kognitiven Vorteilen.

Natürlich hängt die Schwierigkeit des Erwerbs maßgeblich von der Ziel- und Ausgangssprache ab. Deshalb kann es gerade bei sehr unterschiedlichen Sprachen helfen, sich auf einen Bereich der späteren Nutzung zu konzentrieren. Sobald man sich im Klaren ist, ob die neuen Kenntnisse später beruflich, auf Konversationsniveau oder sogar auf literarischem Level genutzt werden, kann die Lernphase entsprechend drastisch gekürzt werden.

Die schwierigsten Sprachen

Das US Foreign Service Institute (FSI) ordnet die unterschiedlichen Sprachen der Welt vier verschiedenen Schwierigkeitsstufen zu. Gruppe 1 bildet die am leichtesten zu erlernenden Gruppen ab und zählt unter anderem Französisch, Deutsch, Italienisch, Indonesisch und Spanisch zu sich. Um eine Sprache aus Gruppe 1 zu verstehen und grundlegende Flüssigkeit zu erreichen, müssen ca. 480 Stunden aufgewendet werden.

Sobald man sich Gruppen 2 bis 4 zuwendet, sieht es leider etwas anders aus. In Gruppe 2 braucht es schon ca. 720 Stunden, um das gleiche Sprachniveau zu erreichen, während Gruppe 3 und 4 noch größere Herausforderung darstellen.

Auch wenn der bloße Anblick der Stunden etwas abschreckend wirken dürfte, lohnt es sich Sprachen allein wegen der kognitiven Vorteile zu lernen. Sprachexperten betonen, dass besonders die Exekutivfunktionen des Gehirns profitieren. Das ist vor allem die Fähigkeit “Informationen flexibel zu nutzen, sie im Kopf zu behalten und gleichzeitig irrelevante Informationen unterzuordnen”, sagt Julie Fiez, Professorin für Neurowissenschaft an der University of Pittsburgh. “Es wird Exekutivfunktion genannt, weil es mit den Fähigkeiten eines CEOs verglichen wird.” Dazu gehöre das “Multitasking, Verwalten, die Fähigkeit mit vielen Informationen gleichzeitig zu jonglieren und das Priorisieren.”

Die Gehirne von mehrsprachigen Menschen sind auf diese exekutiven Funktionen angewiesen, um das Gleichgewicht zwischen zwei Sprachen halten zu können, besagt eine Studie der Northwestern University. Wenn beide Sprachsysteme immer aktiv sind und miteinander konkurrieren, führt das dazu, dass Kontrollmechanismen im Gehirn ständig trainiert und damit gestärkt werden.

Die Stunde Unterschied

Die Grundlagen einer Sprache zu lernen ist oft die geringste Herausforderung. Besonders in Zeiten von Sprachlernapps sind Begrüßungsformeln und einfache Sätze schnell gelernt. Polyglotte Menschen schwören jedoch auf eine andere Methode. Sie empfehlen vor allem das Lesen und Filme schauen in der neu zu erlernenden Sprache. Der Spracherwerb findet dadurch unterbewusst statt, wird positiver erlebt und erinnert. Auch wenn durch diese unkonventionelle Weise vielleicht weniger Wörter erlernt werden, kann man sich an die mit positiven Assoziationen verknüpften Wörter leichter erinnern. Weiterhin steigt die Wahrscheinlichkeit an der neuen Gewohnheit festzuhalten, wohingegen Sprachlernapps schnell vernachlässigt werden.

Sobald man sich über das erhoffte Nutzen der Sprache im Klaren ist, sollten 60 Minuten am Tag dem Spracherwerb gewidmet werden. Besonders hilfreich kann ein Stundenplan sein, in dem verschiedene Lernmethoden festgelegt werden, um die Effektivität der begrenzten Zeit zu steigern. Eine feste Formel, wie viel Zeit für welche Methode aufgebracht werden sollte ist wenig zielführend, da jeder Mensch unterschiedlich lernt und die Formel entsprechend variieren würde. Für alle gilt jedoch, dass mindestens die Hälfte der Stunde Bücher weggelegt und das aktive Sprechen zu üben. Am Hilfreichsten ist der Austausch mit einem Muttersprachler. Besonders erste kleine Erfolgsmomente und das “Lernen über andere Kulturen motiviert Sprachlernende”, sagt Beverly Baker, Professor und Direktor für Sprachbewertung an der University of Ottawa. Er betont außerdem, dass der größte und verbreiteteste Fehler von Erwachsenen das stille Lernen sei. Vokabeln, aber insbesondere Betonung ließen sich auf diese Weise nicht lernen. “Man lernt nicht wirklich eine neue Sprache, sondern allein Bild-Ton-Assoziationen”, so Baker.

Genauso wie bei Musikinstrumenten oder sportlichen Betätigungen wird empfohlen, lieber öfter und kurz, als selten und viel zu lernen. Baker ergänzt, dass “ohne einen konsistenten Stundenplan das Gehirn nicht in der Lage ist, tiefe kognitive Prozesse, wie die Herstellung von Verbindungen zwischen neuem und altem Wissen, durchzuführen.” An fünf Tagen der Woche jeweils eine Stunde dem Spracherwerb zu widmen, sei völlig ausreichend.

Zwar dauert nach dieser Berechnung das Erlernen einer Sprache der Gruppe 1 ca. 96 Wochen, also knapp zwei Jahre, jedoch kann durch die Konzentration auf einen einzelnen Anwendungsbereich, diese Zeitspanne stark verkürzt werden.

“Kommunikation und Einfühlungsvermögen über Sprachbarrieren hinweg führen zu einer sehr gefragten Fähigkeit, die ‘interkulturelle Kompetenz’ genannt wird”, betont Baker. Interkulturelle Kompetenz bezeichnet die Fähigkeit erfolgreiche Beziehungen zu einer Vielzahl von Menschen aus anderen Kulturen aufzubauen. Die 60 Minuten am Tag können also auch als eine Art Brückenbau zwischen Menschen verstanden werden.

Für wen diese Lernstruktur immer noch zu viel Aufwand darstellt, sollte sich über die Möglichkeit Sprache im Schlaf zu lernen, informieren.